Oder: Wenn die Arbeit nicht zur Arbeitslosen kommt, muss die Arbeitslose zur Weiterbildung gehen. Und zum Beispiel an der LVQ in Mühlheim den Lehrgang Online-Redakteur IHK (inkl. Webadministration Content und Technik) absolvieren. So erging es ihr dabei.
Die Schüler blicken sich fragend an: „Was sollen wir machen?“. Die Aufgabenstellung will erst einmal verstanden werden. Die Schüler, das sind Erwachsene zwischen 25 und 53 Jahren. Sie bilden Gruppen, in denen sie gemeinsam an der Umsetzung der Aufgabe arbeiten. Leises Stimmengemurmel erfüllt den Raum 2 des LVQ Weiterbildungszentrums in Mülheim an der Ruhr. Hier sollen 25 Fremde vier Wochen zusammen in einem Raum verbringen. 20 Tage, 8 Stunden täglich, angefüllt mit Wissen! Gemeinsamkeiten gibt es: Alle sind arbeitslos und alle sind für den Moment wieder Schüler, die mit den Hühnern aufstehen und schlafen gehen müssen. Meine Arbeitslose ist eine davon. Ich begleite sie ein Weilchen auf ihrem steinigen Weg, der dennoch von Blumen gesäumt ist.

Möglichkeiten einer Arbeitslosen: Online-Redakteur IHK


Wochen zuvor saß sie noch im Jobcenter bei ihrem Arbeitsvermittler und freute sich über die Möglichkeit einer Weiterbildungsmaßnahme zum zertifizierten Online-Redakteur IHK. Nicht alle freuen sich über derlei Maßnahmen, wie ich während der Schulung später herausfinden sollte. Nach Monaten, bei manchen sind es Jahre, haben dennoch viele einen kleinen Funken Hoffnung, dass die Weiterbildung bei der Jobfindung hilfreich sein könnte. Alles ist besser als Stillstand. Was für den Arbeitslosen eine Besonderheit darstellt, ist für den erfahrenen Arbeitsvermittler des Jobcenters tägliche Routine. Trotzdem gab sich der Berater ehrliche Mühe, Motivation und Zuversicht zu vermitteln. Mit Erfolg! Voller Tatendrang rief die Arbeitslose bei der LVQ in Mülheim an, um sich nach einem freien Platz zu erkundigen.

Ängste im Vorfeld


„Einige freie Plätze gibt es noch“, erklärte ihr Ursula Neumann, die gute Seele des Hauses, sehr freundlich und hilfsbereit. Das Gesicht der Arbeitslosen strahlte bei dieser guten Nachricht wie die Sonne nach tagelangem Regen. Doch nicht allein die Arbeitslosen müssen sich für eine Einrichtung entscheiden, auch das Institut schult nicht jeden Kandidaten. Martin Salwiczek, Projektmanager für Marketing und Social Media, Berater, Trainer und Blogger des Hauses, interviewt jeden Kandidaten hinsichtlich seiner Qualifikationen. Man wird schließlich weitergeschult, und nicht von Grund auf ausgebildet. Die Arbeitslose war besorgt, dass ihre Qualifikationen nicht ausreichen würden. Ihre Stirn zog sich zusammen, was sie fast schon grimmig aussehen ließ. In solchen Situationen sind ihre Ängste förmlich spürbar. Ängste, die jeder Arbeitslose kennenlernt. Die Angst zu versagen. Die Angst, wieder abgelehnt zu werden. Herr Salwiczek zog jedoch den Schluss: „Ich habe den Eindruck, dass Sie gut hierher passen.“

Das LVQ Weiterbildungszentrum


Das Bildungszentrum der Lehr- und Versuchsgesellschaft für Qualität, kurz LVQ, wurde 2000 erbaut und ist mit der Bahn gut zu erreichen. Sowohl vom Mülheimer Hbf als auch vom Duisburger Hbf ist man mit der Linie 901 in ca. 10 Minuten am Speldorfer Betriebshof, von da aus ist es dann ein kurzer Fußweg.

Die LVQ beschäftigt mehrere Frauen. Ich habe an der Seite meiner Arbeitslosen vier von Ihnen getroffen. Ursula Neumann aus dem Vertrieb, die sich das Büro mit Meie Jäger teilt, begegnete uns am Tag der Anmeldung. Der Eingansbereich des Instituts glich einer Geisterstadt. Prüfungstag und laufende Kurse lautete die Erklärung. Die zweite Etage des Instituts weckt Urlaubsstimmung. Ein Strandkorb macht Lust auf Schirmchendrinks  und lädt zum Ausruhen zwischen den Lehreinheiten ein. Ein Kaffeevollautomat lockt mit schwarzem Gold.

Direkt dahinter wird man vom heiteren Lachen der beiden Vertrieblerinnen begrüßt. Es herrscht eine entspannte und lockere Atmosphäre, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die Arbeit hier sehr ernst genommen und professionell erledigt wird. Aber wenn ein Löffelchen voll Zucker die bittere Medizin versüßt, rutscht sie gleich nochmal so gut. Ganz nach diesem Prinzip bekommt man manchmal bei der Anmeldung ein Stück von Frau Neumanns außerordentlich köstlichem und selbstgemachtem Streuselkuchen serviert. Wenn man Glück hat, wie wir.

Der erste Schultag


Blau, Weiß und Grau sind die Farben der LVQ. Farben, fast wie aus dem Griechenlandurlaub. Aber man ist nicht hier, um Ferien zu machen, sondern um zu lernen, um sich selbst Möglichkeiten für die berufliche Zukunft zu schaffen. Verschlafene Gesichter begegnen einem am frühen Morgen, man grüßt sich zaghaft. Die Raucher bilden Grüppchen, viele kennen sich bereits aus vergangenen Seminaren. Die Stimmung erinnert tatsächlich an die Schulzeit. Die Arbeitslose ist aufgeregt und gespannt. Was wird sie gleich erwarten?

Die Seminarräume liegen im Erdgeschoss, ebenso wie die Toiletten. Man findet sich leicht zurecht. Durch eine Glastür gelangt man zum Empfang und zur Verwaltung. Von hier aus unterstützen Ute Weber und Andrea Hildebrand sowohl die Lernenden mit Rat und Tat als auch Helmut Fleck, den freundlich lächelnden Ausbildungsleiter.

Weiter rechts liegt der IT-Raum, in dem Marvin Müller regiert. Geradeaus führt der Weg zum Pausenbereich und zum Seminarraum 2. Von überall ertönt ein „Guten Morgen!“. Vor dem Kaffeeautomaten hat sich eine Schlange gebildet. Rasch, rasch in den Seminarraum! Es ist 8 Uhr, der Unterricht beginnt. Während man in der Schule noch dösen und mit halbem Ohr zuhören konnte, erlebt man hier ein straffes Programm. Vier Wochen sind kurz und Stoff ist im Lehrgang Online-Redakteur IHK reichlich vorhanden. Als Arbeitslose muss man hier aufnahmefähig und konzentriert sein.

Der Meister und seine Lehren


Martin Mirbach steht vor seinen erwachsenen Schülern und stellt den Lehrplan vor. Der Raum ist groß, die Tische in klassischer U-Form aufgestellt. Ein jeder hat einen Bildschirm vor sich stehen, die Ausstattung ist perfekt auf die kommende Arbeit ausgerichtet. „Ziemlich cool!“, kommentiert die Arbeitslose. Sie meint sowohl die Ausstattung als auch den Dozenten. Eine breite Fensterfront sorgt für Helligkeit, so dass man darauf verzichten kann, das künstliche und ermüdende Licht anzuschalten. Ein moderner Beamer überträgt die wichtigsten Informationen auf die Wand.

„Sie brauchen nicht mitzuschreiben! Ich werde die Informationen als Datei im Dozentenordner hinterlegen“, informiert Herr Dr. Mirbach. Ein erleichtertes Raunen geht durch den Raum.

Die folgenden fünf Tage dozierte Martin Mirbach, intensiv und gut strukturiert, über grundlegende Aspekte des journalistischen Schreibens. Die Schüler der Weiterbildung hörten mit gespitzten Ohren und gezückten Stiften zu, schließlich galt es die IHK-Prüfung zu bestehen. Derweilen lernten sie einander ein wenig besser kennen und mögen.

Wenn es lautlos gongt


In den Pausen strömen die Menschen aus den Seminarräumen. Die einen eilen zu den Toiletten, die anderen zum Kaffeeautomaten. Der Rest geht flotten Schrittes vor die Tür, um sich eine Zigarette anzuzünden. Wieder bilden sich Grüppchen, man hört Stimmengewirr und sieht Menschen: arbeitslose Frauen und Männer, in Gespräche vertieft. Es sind keine faulen und unqualifizierten Menschen, die man hier sieht. Es sind Personen unterschiedlichen Alters, aus verschiedenen Bereichen, mit Ausbildungs- oder Hochschulabschlüssen. Um dem Tempo der Weiterbildung folgen zu können, muss man durchaus gewisse Voraussetzungen erfüllen. Die Erwartungen sind nicht niedrig, die Erwartungen an sich selbst bei manchen sogar noch höher.

Eine Arbeitslose auf Entdeckungstour


Sofern es nicht regnete, machte die Arbeitslose in der Mittagspause gerne einen Spaziergang. Die nähere Umgebung des Bildungszentrums bot dazu Gelegenheit. Der Raffelbergpark befindet sich quasi um die Ecke. Aber auch am Bildungszentrum selbst kann man die blühende Flora und Fauna begutachten. Die Augen und der Geist kommen dabei ein wenig zur Ruhe und man tankt neue Energie.

Auch einige andere Seminarteilnehmer haben, jenseits des Trubels im Pausenraum, nach Ruhe und Entspannung gesucht. Manch einer gönnte sich im Auto ein kleines Nickerchen und kehrte mit neuer Energie geladen zum Unterricht zurück.

Sozial mit Unterhaltungswert


Dass man Inhalte kanalspezifisch aufbereiten und verbreiten muss, wurde der Arbeitslosen und ihren Spießgesellen von Christian Müller beigebracht. Der bekannte Blogger und Berater brachte den Seminarteilnehmern auch weitere wesentliche Aspekte des Content Managements auf seine ganz eigene Genie-Art nahe. Know-how meets Entertainment! Weitere drei Tage vergingen und die sich nähernde IHK-Prüfung begann aktuelles Gesprächsthema zu werden. Wie soll man bloß den ganzen Stoff lernen? Würde man alles behalten können? Würde man an alles denken? Was würde passieren, wenn man nicht besteht? Obwohl alle Teilnehmer die bisher vermittelten Inhalte weitestgehend verstanden hatten, machte sich leichte Unruhe breit. Das wohlbekannte Ungeheuer, die Angst zu versagen, schien erwacht zu sein. Aber auch der Ehrgeiz, der Wille die Prüfung zu bestehen, war geweckt.

Frauen vom Fach

Kurz vor der Prüfung war es dann an zwei Frauen, den Seminarbesuchern ihr fachspezifisches Wissen zu vermitteln. „Mir ist die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidung nicht ganz klar. Wann ist es eigentlich eine Beleidigung und somit strafbar?“, fragte die Arbeitslose zu Beginn der juristischen Einführung. Eine Frage, die sich viele im Kurs stellten. Astrid Christofori ist Anwältin aus Leidenschaft und erklärte auf hochgradig verständliche Weise, was ein Journalist darf und welche Handlungen juristische Folgen nach sich ziehen können Der Kurs lauschte gebannt. Die Folge war unter anderem ein sensibilisiertes Bewusstsein für Urheber- und Nutzungsrechte. Des Weiteren gab es viele Aha-Erlebnisse.

Die gab es auch bei der Fotografin Jenny Janson, dazu aber auch jede Menge Spaß. In Gruppen wurden kurze Videos aufgenommen, die Jenny beispielhaft zusammenschnitt. Die Ergebnisse sorgten für Unterhaltung. Sie verdeutlichten den Einfallsreichtum der einzelnen Seminarteilnehmer und lockerten die durch die nahende Prüfung angespannte Atmosphäre auf. Zumindest für diesen einen Tag.

Brücken, nicht Barrieren

Hier verlasse ich die Arbeitslose, und lasse sie und die anderen Seminarteilnehmer in Ruhe für die anstehende Prüfung lernen. Viele unterschiedliche Menschen, die an einem bestimmten Ort für einen bestimmten Zeitraum zusammenkommen, bilden ganz eigene Formen der Dynamik. Es herrscht ein Ausnahmezustand, ein bisschen wie früher auf einer Klassenfahrt, weil jeder weiß, dass diese Konstellation so nie wieder stattfinden wird.

Eine Weiterbildung ist besonders, weil man sich auf Menschen und Umstände einlässt, auf die man sich sonst vermutlich nie eingelassen hätte. Man kann Erkenntnisse gewinnen, über andere und über sich selbst. Man kann seine eigenen Grenzen erforschen, und sie überschreiten. Man kann sein Wissen erweitern und seine Fertigkeiten. Man kann erkennen, dass man nicht alleine dasteht. Und dass es viele furchtbar kompetente Menschen gibt, die gerade keinen Job haben. Auch wenn letztlich jeder für sich allein weiterkämpfen muss, erkennt man möglicherweise, dass – wie der Dalai Lama immer wieder betont – uns viel mehr verbindet als uns trennt.

„Was sollen wir machen?“ – „Weiter! Wir machen einfach weiter!“
Über die Autorin: Branka Ilic

Über die Autorin: Branka Ilic

Germanistin, Philosophin & leidenschaftliche Bloggerin

Branka Ilic, M.A. hat Germanistik und Philosophie an der  Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf studiert. Wenn sie nicht gerade Arbeitssuchende auf deren Weg  in eine bessere  Zukunft begleitet, bloggt die ausgebildete  Online-Redakteurin und  leidenschaftliche Feministin auf weiberhirn.de (wo auch dieser Artikel zuerst und  noch ausführlicher erschienen ist) – ganz getreu ihrem Motto „I think, therefore I write“.

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