Auf Pressemitteilungen zu verzichten bedeutete, bei der Themenfindung im Journalismus genau diejenigen Ereignisse aufzugreifen, die quasi auf der Straße liegen. Oder von denen andere Menschen berichten, denen wir im Alltag begegnen. Jedes Gespräch, ob mit Freunden oder Fremden, gibt neue Anregungen und Ideen, vor allem wenn Journalisten nicht nur in Journalistenkreisen verkehren (wozu sie allerdings tendieren).

Die Themen liegen auf der Straße


So besuchte ich den türkischen Taxifahrer, mit dem ich über einen Radiobeitrag auf der Fahrt zum Bahnhof ins Gespräch gekommen war. Mit ihm und seiner zum Islam konvertierten, österreichischen Frau redete ich über die Stellung der Frau im Islam ¬ um irgendwann zu merken, dass dies eher eine Frage der nationalen Tradition und nicht des Korans ist. Mit einer blinden Frau diskutierte ich über die Einschränkungen durch das fehlende Augenlicht, die sich ihrer Erfahrung nach durch Eigeninitiative weitgehend überwinden ließen, und über die Freiheit, die ein Blindenstock eröffnet, die aber viele Blinde nicht nützen würden, wie sie meinte.

Ich machte eine Serie über Museen, denn ich wusste, dass die Zielgruppe der Zeitung solche Berichte gerne las, und sie auch sammelte. Das merkte ich umso genauer, als jemand einen fehlenden Beitrag anfragte und ich feststellen musste, dass ich mich bei der Nummerierung vertan hatte. Im Heimatkundemuseum, nicht meine bevorzugte Museumsgattung, wie ich zugebe, kam ich dabei dem didaktischen Konzept auf die Spur. Darauf machte mich die verantwortliche junge Kuratorin aufmerksam, als sie durch Zufall auf meinen Bericht stieß. So gewann ich eine realistischere Vorstellung von der Arbeitsteilung der Geschlechter in den Jäger- und Sammler-Gesellschaften.

Einen führenden Beamten in einem Schweizer Kanton überraschte ich dadurch, dass ich so unterschiedliche Themen wie Forschung zur Technologiefolgenabschätzung, Schokoladenproduktion und Schweizer Mitbestimmung in einem Artikel elegant zu verbinden wusste: Er schrieb mir einen anerkennenden Brief, als er beim Ausscheiden aus dem Dienst seinen Pressespiegel durchblätterte.

Themenfindung im Journalismus vs. Themenauswahl


„Wie wählen Sie die Pressekonferenzen aus, auf die Sie die Volontäre schicken?“, fragte ich einmal während eines Praktikums bei einer namhaften Tageszeitung den Ausbildungsredakteur. Er hatte keine echte Antwort, meinte nur, jede Einrichtung, jeder Betrieb, jedes Thema werde genau dann berücksichtigt, wenn dies möglich sei. In der Tat gibt es kein objektives System zur Relevanz oder Gewichtung von Themen, nach dem ein Medium, ob Print oder Online, diese auswählt. Es gibt natürlich Ereignisse auf der Berliner Bühne, die politische Redaktionen abdecken müssen. Es gibt die so genannte journalistische Chronistenpflicht, es gibt Gepflogenheiten in der politischen und in der Wirtschaftsberichterstattung, welche Ereignisse wie stark gewichtet werden.

Aber entscheidend ist bei der Themenfindung im Journalismus letztlich der einzelne Mensch mit seinen persönlichen Interessen, Vorlieben und seinem Blick auf die angenommenen oder erhofften Rezipienten. Ganz gleich, ob nun ein Redakteur, eine Reporterin oder die Chefredaktion die Themen auswählt, und wie emotional oder sachlich, menschlich oder technokratisch sie umgesetzt werden. Nicht zu vernachlässigen sind allerdings die „berufsständischen Eitelkeiten“: Natürlich möchte manch eine Journalistin, manch ein Redakteur Anerkennung im Kollegenkreis für die eigene Arbeit erhalten, sich auch für einen neuen, besser bezahlten Job profilieren — und schielt daher bei der Themenwahl auch auf diesen Aspekt.

Neugierige Journalisten brauchen Jahrestage, Jubiläen oder Superlative jedenfalls nur sehr selten als Hilfskrücke für ihre Themenfindung. Dies ist jedenfalls meine, ganz subjektive Meinung.

Die eigene Zeitung?


Dennoch „unterwerfe“ ich mich persönlich weiterhin gerne dem Themen- und Lesergespür der Profis in den Print- und Web-Medien, beziehe Newsletter, lese Tageszeitungen und politische Magazine, die andere zusammengestellt haben. Obwohl wir uns doch im Internet-Zeitalter ganz basisdemokratisch sozusagen „die eigene Zeitung“ anhand der eigenen Interessen zusammenstellen können.

Doch in der Welt gibt es so viele Dinge, von denen ich noch gar nicht weiß, es gibt so viel Interessantes, das mich zu einer anderen Zeit, in einem früheren Lebensabschnitt, niemals fasziniert hätte und das daher durch meine Filter durchgerutscht wäre. Lieber als auf die Algorithmen von News-Aggregatoren überlasse ich mich daher bei meiner täglichen Nachrichten-Lektüre auf eine weltoffene Neugier und auf den (subjektiven) Blick von Journalistinnen und Reportern, die ihr Handwerkszeug gelernt haben.
Über die Autorin: Dr. Beatrix Körner

Über die Autorin: Dr. Beatrix Körner

Inhaberin dbk - Die bemerkenswerte Kommunikation

Beatrix Körner hat Politikwissenschaften, Philologie und Geschichte in Erlangen und München studiert und ist ausgebildete Projektmanagerin (IHK). Sie war als Ressortleiterin, Marketingleiterin und Leiterin der Unternehmenskommunikation für zahlreiche, auch börsennotierte Unternehmen tätig und widmet sich heute ganz der Kundenbetreuung in ihrer eigenen Kommunikationsagentur.

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