Wer morgens vor den Zeitungskästen einer Großstadt steht und die Schlagzeilen studiert, überlegt bisweilen, warum das eine Thema von allen Zeitungen an diesem Tag groß auf der Titelseite platziert wird. Und warum ein anderes Thema an einem anderen Tag nur dem einen (Lokal-) Blatt die große Schlagzeile wert ist. Gleichzeitig bemühen sich die anderen vielleicht sogar mit scheinbar überflüssigen Themen um die Lesergunst. In der Tat ist die Themenfindung im Journalismus ein spannendes Feld: Wie entsteht eine Zeitung, wie entstehen die Texte einer Zeitung? Wer wählt aus, was in der Zeitung stehen soll?

Praxis und Neugier bei der Themenfindung im Journalismus


Als ich mich gegen Ende meines Studiums bei einer Zeitung bewarb, hatte ich überhaupt keine Ahnung vom Zeitungs- oder Mediengeschäft. Damals war das kein Knock-out-Kriterium. Es war noch nicht so selbstverständlich und vom Verlag erwartet, dass junge Leute, die sich für ein Volontariat bewarben, möglichst mehrere Jahre journalistische Schreibpraxis in der Schülerzeitung, im Wochenanzeiger oder im eigenen Blog mitbringen sollten. Plus Praktika bei etablierten Medien, versteht sich. Volontäre brauchten auch kein Journalistikstudium, denn damals waren noch Absolventinnen und Absolventen breit qualifizierender Studienabschlüsse wie Rechtswissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften gefragt. Ihnen wurde ganz einfach unterstellt, dass sie ein breites Allgemeinwissen mitbringen. Gute, alte Zeiten!

Gefragt war vor allem eine gesunde Neugier, abgesehen von den „gleichmäßig guten“ (nicht: durchgängig sehr guten) Noten, wie mir später einmal mein Chefredakteur launig erzählte. Denn Neugier ist der Schlüssel zum guten Journalismus. Neugier

  • auf Menschen,
  • auf Ereignisse,
  • auf Entwicklungen,
  • auf Phänomene,
die nicht alle schon kennen, die nicht alltäglich sind, die oft nicht dem eigenen Erfahrungshorizont entsprechen, die den eigenen Ansichten und Vorstellungen vielleicht sogar entgegen laufen. Eine Neugier, die sich durch ein Offen-durch-die-Welt-Gehen, durch Zuhören und durch Nachfragen, durch ein interaktives Gespräch hervortut und zu sachlich-neutralen Berichten, Erzählungen, Reportagen führt. Der Leser, die Leser soll sich ein eigenes Bild machen können. Der Journalist, die Reporterin setzt dafür einen Anreiz, schafft einen Rahmen für die Nachricht.

Startpunkt Pressemitteilung


So kam ich also zu einer politischen Wochenzeitung, übrigens ohne dass ich nach meiner politischen Einstellung gefragt worden wäre. Denn es ging, wie gesagt, um sachlich-neutrale Berichterstattung oder wie mein damaliger Chefredakteur einmal, erstaunt über meine jugendlich-naive Nachfrage, sagte: „Die Gedanken sind frei.“

Und da saß ich dann an meinem Schreibtisch, nach dem Studium voller Tatendrang und voller Lust auf das „echte Leben“ (während des Studiums hatte ich nur wenig jobben müssen) und fragte mich: Wie entsteht bloß so eine Zeitung?

Als erstes lernte ich, eine Meldung zu schreiben. Das ging ganz einfach. Mein Chefredakteur, der selber viele Jahre als Korrespondent einer sehr namhaften deutschen Tageszeitung sämtliche Themen abgedeckt hatte, legte mir die berühmten 7 Ws ans Herz, die im ersten Absatz zu platzieren seien. Das ließ sich in den namhaften Blättern auch leicht nachvollziehen, vor allem anhand der Meldungen, die über den Ticker von dpa und anderen Nachrichtenagenturen in der Redaktion eintrudelten.

Nachdem ich diese Übung im ersten Anlauf regelkonform und daher erfolgreich absolviert hatte, wurde ich regelmäßig zu Pressekonferenzen geschickt. Und zwar zu solchen von

  • Institutionen,
  • Verbänden,
  • Unternehmen,
  • Ministerien,
  • Behörden
und allen, über die zu berichten mein Chefredakteur für wichtig hielt. Warum die wichtig waren, das wurde allerdings nie diskutiert.

Manchmal gab es auf Pressekonferenzen spannende Diskussionen (vor allem auf denen großer Unternehmen) zwischen erfahrenen Wirtschaftsjournalisten und den Vorständen und ihren Pressereferenten. Dann las ich am nächsten Tag eifrig nach, inwieweit diese Diskussionen, die stets spielerisch geführt wurden, ihren Niederschlag auf dem Papier gefunden hatten. Und stellte nur allzu oft enttäuscht fest, dass in den Berichten davon höchstens Spurenelemente zu finden waren.

Insofern hat mich ein Umfrageergebnis aus dem Jahr 2015 nicht verwundert, dem zufolge die Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten Pressekonferenzen für unnötig hielten. Die offiziellen Informationen bekamen sie per E-Mail, als Pressemitteilung oder über Presseportale im Netz. Hintergrundinformationen, an denen nicht alle anderen Kollegen teilhatten, fanden sie nur auf ihren eigenen Wegen und über Kontakte, die sie selber herstellten.

Da ich aber Redakteurin bei einer Wochenzeitung war, hatte ich schnell beschlossen: Presseticker und Pressekonferenzen bringen mich und meine Leser nicht weiter, denn die Tageszeitungen, und natürlich die News-Plattformen im Netz, waren immer schneller und aktueller. Was zählt, sind Hintergrundberichte, die natürlich auch die Tageszeitungen ausgiebig nutzen, und zwar zu Themen, die nicht über die Pressestellen platziert werden oder sich für jeden sichtbar auf der politischen Bühne oder der Börse ereignen. „Unique Content“ heißt so etwas übrigens im Online-Journalismus, also „einzigartige Inhalte“.

Für eine junge Journalistin wie mich bedeutete dies einfach Unabhängigkeit. Und vor allem die Chance, mich näher über Themen zu informieren, die mich und „meine“ Leser, die ich bei meinen Recherchen immer wieder sprach und somit immer besser kennenlernte, interessierten. Beispielsweise besuchte ich gerne Tagungen, auf denen Wissenschaftler oder Kommunalpolitiker vielschichtig diskutierten, ob über neue Trends in der Abfallwirtschaft oder Modellprojekte beim Wohnungsbau, über die Kosten von ambulanter oder stationärer Altenversorgung oder die Chancen und Grenzen von Zelltests anstelle von Tierversuchen. Tagungen kosten Zeit und sind anstrengend, wenn man selber keine Fachfrau ist. Sie lohnen sich aber, denn ich stellte schnell fest, dass Pressemitteilungen selten die kritischen Töne der Vorträge auch nur andeuteten.

Lesen Sie weiter: Hier geht es zu Themenfindung im Journalismus, Teil 2.
Über die Autorin: Dr. Beatrix Körner

Über die Autorin: Dr. Beatrix Körner

Inhaberin dbk - Die bemerkenswerte Kommunikation

Beatrix Körner hat Politikwissenschaften, Philologie und Geschichte in Erlangen und München studiert und ist ausgebildete Projektmanagerin (IHK). Sie war als Ressortleiterin, Marketingleiterin und Leiterin der Unternehmenskommunikation für zahlreiche, auch börsennotierte Unternehmen tätig und widmet sich heute ganz der Kundenbetreuung in ihrer eigenen Kommunikationsagentur.

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